
Auf Einladung der direkt gewählten Wetterauer Bundestagsabgeordneten Natalie Pawlik (SPD), die neben ihrem Bundestagsmandat seit April 2022 auch das Amt der Beauftragten der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten ausübt, besuchte Dr. Felix Klein, der Beauftragte der Bundesregierung für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus, den Wetteraukreis. Hintergrund der gemeinsamen Termine war eine Veranstaltung zu der die beiden Beauftragten am Abend in Frankfurt am Main einluden, in der es um Gemeinsamkeiten und Unterschiede von jüdischen Kontingentgeflüchteten und Russlanddeutschen als eine der größten Zuwanderungsgruppen in Deutschland ging. Beide Gruppen haben in ihrer Migrationsgeschichte ähnliche Erfahrungen gemacht, aber auch unterschiedliche Herausforderungen gemeistert.
Zu Beginn des Tages besuchten Pawlik und Klein die Synagoge in Bad Nauheim. Gemeindevorsitzender Manfred de Vries sowie die Vorstandsmitglieder Viatcheslav Ifraimov und Yehuda Azulay berichteten während einer kurzen Führung durch die Synagoge, die Ende der 1920er Jahre erbaut und in der NS-Zeit nicht zerstört wurde, von deren Geschichte sowie dem heutigen Gemeindeleben. In dem anschließenden Gespräch mit Gemeindemitgliedern berichteten diese auch von aktuellen Herausforderungen. Besonders brisant waren die Themen Antisemitismus im Alltag und Armut im Alter.
„Über 90 Prozent der Jüdinnen und Juden leben in Deutschland in Altersarmut. Bei den Aussiedlerinnen und Aussiedlern sind es an die 60 Prozent. Und das, obwohl viele von ihnen ihr Leben lang gearbeitet haben. Die Gründe dafür liegen darin, dass ein Großteil der Arbeitszeit aus den Herkunftsländern in unserem Rentensystem nicht anerkannt wird. Zudem wurden bei beiden Gruppen oft die Berufsabschlüsse aus den Herkunftsländern in Deutschland nicht anerkannt, weshalb ein großer Teil in prekären Beschäftigungsverhältnissen arbeiten musste“, erläutert Natalie Pawlik. „Unter anderem deshalb haben wir auf Bundesebene den sogenannten Härtefallfonds umgesetzt, aus dem Betroffene, die die Kriterien des Fonds erfüllen, eine Einmalzahlung von 2500 Euro erhalten. Der Fonds war ein wichtiger Schritt, er löst allerdings nicht die Problematik der Altersarmut. Für mich ist das eine Frage des Respekts vor der Lebensleistung der Menschen, die bis heute unter den Folgen des Nationalsozialismus leiden, dass wir ihnen im Alter ein Leben in Würde ermöglichen“, so Pawlik.
Man sei sich einig darüber gewesen, dass es einen gesellschaftlichen Konsens brauche, dass jüdisches Leben in die Mitte der deutschen Gesellschaft gehöre. Bis es so weit sei, werde noch viel Aufklärungs- und Bildungsarbeit notwendig sein. Zentral sind zudem Melde- und Informationsstellen, an die sich Opfer von Antisemitismus wenden können und dort Unterstützung und Beratung erhalten. „Jüdisches Leben gehört in die Mitte unserer Gesellschaft! Was eigentlich selbstverständlich sein sollte, trifft auf eine Realität, in der viele Gemeindemitglieder in der Öffentlichkeit ihren jüdischen Glauben verstecken und jüdische Einrichtungen von der Polizei geschützt werden müssen. Denn Antisemitismus ist für viele gefährlicher Alltag. Es ist mir ein Herzensanliegen und meine Überzeugung, dass sich Jüdinnen und Juden, wie alle anderen Menschen auch, frei und ohne Angst in unserer Gesellschaft bewegen können. Ein erster Schritt ist es, Antisemitismus niemals unwidersprochen stehen zu lassen, und Betroffene besser zu unterstützten“, betonte Pawlik am Rande des Besuches in der Synagoge.
Von Bad Nauheim ging es dann weiter in die Wetterauer Kreisstadt nach Friedberg. Hier stand ein Besuch des Wetteraumuseums auf dem Plan. Museumsleiter Johannes Kögler begrüßte die prominenten Gäste und führte sie durch die Sonderausstellung ‚Jüdisches Leben in der Wetterau heute‘. Am Rundgang haben auch der Friedberger Bürgermeister Kjetil Dahlhaus (parteilos), der Stadtverordnetenvorsteher Hendrik Hollender (CDU), die Museumsmitarbeiterin Anna-Mala Kolaß sowie die erste Vorsitzende der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Wetterau e.V. Britta Weber teilgenommen.
Anlass für die Ausstellung, die vom Wetteraumuseum in Kooperation mit der Jüdischen Gemeinde Bad Nauheim sowie mit der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit e.V. und der Antifaschistischen Bildungsinitiative e.V. vorbereitet wurde, war ursprünglich das Festjahr 2021 unter dem Motto ‚1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland‘. Nachdem die Ausstellung nach einer über einjährigen Laufzeit im September 2023 zu Ende ging, wurde sie nach dem brutalen Überfall der Hamas auf Israel vom 7. Oktober 2023 wiederaufgenommen. Die Ausstellung bietet eine Momentaufnahme des jüdischen Lebens heute. Der Fokus liegt bewusst auf der Gegenwart und der Wetterau. Mit Fotografien, Gegenständen und Texten fängt die Ausstellung etwas vom jüdischen Leben der Gegenwart ein und macht es sichtbar. Felix Klein, der die Ausstellung im Gegensatz zu Natalie Pawlik zum ersten Mal besuchte, zeigte sich beeindruckt von den Eindrücken, die die Ausstellung bietet.
Im Anschluss besuchte die Gruppe die im 13. Jahrhundert in Friedberg erbaute, monumentale Mikwe sowie den Synagogenplatz. Nach den Terminen in Bad Nauheim und Friedberg ging es nach Frankfurt zur Interessensgemeinschaft der Deutschen aus Russland in Hessen zu einem Austausch und anschließend in das Jüdische Museum Frankfurt zu einer gut besuchten Diskussionsveranstaltung zum Thema ‚Russlanddeutsche und jüdische Kontingentgeflüchtete – Gemeinsamkeiten und Unterschiede‘.